Helfer im Dilemma

Auch die Schweiz leistet Unterstützung auf den Philippinen. Ein Korps für humanitäre Hilfe ist bereits vor Ort. Doch wie funktioniert eigentlich Katastrophenhilfe, wenn die ganze Infrastruktur zerstört ist?

Martina Läubli
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Ganze Landstriche sind mit Schutt bedeckt, Städte und Felder verwüstet, Strassen blockiert. Der Taifun «Haiyan» hat Zerstörungen von immensem Ausmass hinterlassen und Millionen von Filipinos in Not gestürzt. Erste offizielle Angaben sprechen von über 10'000 Todesopfern, zwei Millionen Betroffenen und 23'000 zerstörten Häusern.

Nach dem Abflauen des Sturms sind Helfer aus aller Welt in die Katastrophengebiete unterwegs. Die Nothilfe stösst angesichts der völligen Zerstörung von Infrastruktur und staatlichen Strukturen aber auf grosse Hindernisse, wie die Schweizer Akteure bestätigen: «Wir haben es mit einer sehr schwer zugänglichen Region zu tun», sagt Manuel Bessler, der Chef des Schweizerischen Korps für humanitäre Hilfe (SKH), im Gespräch mit der NZZ. «Die eigentliche Herausforderung ist, das Hilfsmaterial an den richtigen Ort zu bringen.» Kommunikation mit den verwüsteten Gebieten ist kaum möglich, niemand weiss, wie es dort tatsächlich aussieht.

Unterwegs mit dem Schiff

Zehn Mitglieder des SKH sind im Auftrag der Schweiz in die Philippinen gereist. Fünf von ihnen sind nun als Vorausdetachement unterwegs nach Cebu, der zweitgrössten Stadt der Philippinen. Dort wollten sie ein Schiff mieten und ins Katastrophengebiet reisen, um sich erst einmal ein Bild von der Situation zu machen und die Bedürfnisse abzuklären, erklärt Bessler. «Wir suchen uns ein Einsatzgebiet in der Schneise des Taifuns, wo noch keine anderen Organisationen sind», beschreibt der Chef des SKH die Strategie. Ziel sei voraussichtlich Ormoc, eine kleinere Stadt südwestlich von Tacloban. Die Zerstörung in Ormoc sei ebenso gross wie in Tacloban, jener durch Medienbilder bekannt gewordenen Stadt.

«Die Mitarbeiter des Korps für humanitäre Hilfe stehen unter einem enormen Druck», so Bessler. Sie wüssten, dass ihre Hilfe sofort nötig ist, und könnten trotzdem nicht direkt zu den Menschen gelangen, die Hilfe brauchen.

Die Schweizer Nothelfer führen bei ihrer Reise alles Überlebensnotwendige wie Nahrungsmittel, Zelt, Schlafsäcke und medizinische Versorgung mit sich. Die erste Gruppe besteht laut Bessler aus sechs Personen, darunter ein Teamleiter, zwei Trinkwasserspezialisten, ein Arzt und ein Logistiker. Letztgenannter sei für die Planung des Hilfseinsatzes unabdingbar, da in den vom Taifun verwüsteten Gebieten noch pures Chaos herrsche. In den Katastrophengebieten seien die meisten Flughäfen zerstört. Und die wenigen, die noch funktionierten, würden von der Regierung beansprucht, erklärt Bessler. «Unser Logistiker beschäftigt sich mit der Frage des Transports: Soll das Hilfsmaterial von Manila aus mit dem Schiff nach Ormoc gebracht werden? Oder sollen wir besser ein Flugzeug chartern?»

Zehn Tonnen Hilfsmaterial

Obwohl im Moment noch nicht geklärt ist, wie die Hilfe genau zu den Betroffenen gelangen soll, wird bereits ein Flugzeug mit Hilfsmaterial beladen, das am Montagabend starten soll. Dieser erste Schweizer Hilfstransport enthält zehn Tonnen Hilfsgüter, zwei Tonnen medizinisches Material, welches die Versorgung von 10'000 Menschen während drei Monaten ermöglichen soll, und acht Tonnen Material zur Trinkwasseraufbereitung, die sind Wassertanks und Anlagen zur Wiederaufbereitung des Trinkwassers. Die Trinkwasseraufbereitung sei eine «Schweizer Nische» in der Katastrophenhilfe, erklärt der Chef des SHK.

Neben der staatlich organisierten Katastrophenhilfe sind auch die Hilfswerke auf den Philippinen aktiv. Caritas, das Hilfswerk der Evangelischen Kirchen Schweiz (HEKS) und die Christoffel-Blindenmission haben am Montag je 500'000 Franken Nothilfe für die Philippinen gesprochen. Bei der Glückskette sind seit Freitag bereits Spenden in der Höhe von über 250'000 Franken eingegangen.

Da Caritas und HEKS bereits auf den Philippinen engagiert sind, verfügen sie über Kontakte zu Organisationen vor Ort, mit denen sie auch in der Nothilfe zusammenarbeiten. «Es braucht eine grossangelegte Koordination», sagt Stefan Gribi von Caritas Schweiz gegenüber der NZZ. Sowohl Caritas als auch Handicap International und HEKS haben Schweizer Mitarbeiter entsandt. Jedoch hätten im Moment alle Hilfsorganisationen das Problem, dass die betroffenen Gebiete von der Kommunikation abgeschnitten seien.

90 Prozent in Trümmern

Kaira Alburo ist Direktorin von «A2D Project», einer Partnerorganisation von Caritas in Cebu. Sie beschreibt die gegenwärtige Situation in einer E-Mail: «In Cebu sind einige Städte im Norden immer noch unzugänglich. Auf der Insel Bantayan liegen 80 bis 90 Prozent aller Strukturen in Trümmern.» Während in den Medien vor allem die Stadt Tacloban Beachtung finde, seien auch die umliegenden Städte schwer verwüstet und blieben unzugänglich. «Wir hören täglich den Ruf nach Essen, Wasser, Medizin und Obdach – all dies gelangt erst tropfenweise in die betroffenen Regionen.»

Neben der Nothilfe legen die Hilfswerke den Fokus auf längerfristige Hilfe: «Wiederaufbau wird ein grosses Thema sein», sagt Stefan Gribi von Caritas.